Mein Hannah Arendt-Moment

Ich hab eben einen Tweet rausgehauen, der sich auf eine Philosophin bezieht, deren Haltung für mich einen Referenzpunkt ergibt: „Ich sag es so: Kann man sich vorstellen, Hannah Arendt hätte eine Kanaille beflegelt, beschimpft? Nicht auf meinem Kontinent. Sie hätte sich vermutlich eine Zigarette angezündet und den Pfosten mit ein paar Sätzen zurechtgestellt. Punkt. So geht das!“ [Quelle]

Was ich meine, wird in diesem Dokument ersichtlich: „Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus“ [Quelle] (Dabei stellt sie übrigens gleich zu Beginn in Abrede, eine Philosophin zu sein.) Was ich an diesem Beispiel so attraktiv finde, ist diese Präzision in den Aussagen, wohl auch als Ausdruck von intellektueller Selbstachtung.

Ich hab hier im Kontext meines Projektes „Tesserakt“ schon einige Notizen unter den Titel Zeit des Zorns gestellt. Das wurzelt unter anderem in den letzten Jahren meiner Befassung mit dem Untergang Jugoslawiens, durch den wir uns sehr genau ansehen konnten, wie sich die Brutalisierung von Gesellschaften vollzieht, genauer: wie sie bewerkstelligt wird. Durch Haßreden.

Einige der wirkmächtigen Muster konnten wir übrigens auch an den möderischen Kontroversen von Tutsi und Hutu in Ruanda ansehen. Damit meine ich den konsequenten Krieg der Worte als einer Vorbedingung für Verhältnisse, in denen dann Kehlen durchgeschnitten werden.

Den Mustern und Lektionen mangelt es nicht an Deutlichkeit. Bliebe die Frage, warum wir uns diese Flut an Gezänk und Beschimpfungen leisten, wie ich sie beispielsweise auch in meinem Umfeld via Facebook und über andere Kanäle erlebe, um auf die politische Situation Österreichs zu reagieren.

Dieses Zänkische sehe ich nach außen gerichtet, aber auch intern, wo Meinungsverschiedenheiten auftauchen. Auf eben diese Art wird heute unter gebildeten Leuten ein symbolischer Raufhandel ausgetragen. Man könnte freilich auch Dissens als Anregung sehen und es dabei belassen, daß man sich beim Gegenüber nicht durchgesetzt hat, daß nun zwei verschiedene Ansichten einander gegenüberstehen.

„Du verstehst mich nicht!“
„Doch! Ich verstehe dich, aber ich stimme dir nicht zu.“
„Nein, du verstehst mich nicht!“

Darin schlummert ein Appell, der besagt: „Du solltest mir zustimmen und einlenken, auch wenn du mich nicht verstehst, denn ich hab die Vernunft in meinem Lager. Und daraus folgt zwingend, daß du unvernünftig bist, wenn du mir nicht zustimmst und dich fügst.“

Ein Machtspiel von deprimierender Dürftigkeit. So was kriegen nur gebildete Leute hin. Der simple Rüpel haut dir eins auf die Glocke und gut ist’s. Der fackelt nicht, redet nicht herum, kehrt die grobe Seite nach außen und man weiß, woran man ist. Gebildete Leute packen Moral in Ideologie, wie man einen Dolch in Watte packt.

Das hat übrigens eine feine geistesgeschichtliche Dimension. Foucault beschrieb in „Überwachen und Strafen“ quasi die Grundübung solcher Modalitäten. Es gilt, die widerspenstigen Opponenten passend zuzuordnen, um adäquate Maßnahmen treffen zu können: Ist er ein Verrückter oder ein Vernunftflüchtling? Kann er nicht oder will er nicht? Nämlich sich fügen…

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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