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Aloha Antarctica #2

Eine Notiz im „Iceblog“ besagt: „Die Iljushin 76 wird um 23.30 Uhr abheben und wir werden gegen fünf Uhr oder sechs Uhr am Morgen, je nach Wind, in Novo ankommen. Ob wir noch am selben Tag nach SANAE weiterkommen werden oder nicht, wird sich erst dort zeigen und entscheiden.“

Was bei uns der Postbus ist, zeigt sich dort als Iljuschin(Foto: Iceolutions)

Ich wußte — bei meinem Faible für Fahrzeuge zu Wasser, zu Land und in der Luft — schon als Kind, daß so eine mit Fenstern gepflasterte Rumpfspitze meist auf eine russische Iljuschin hinweist. Iljuschins waren für mich damals mit „riesig“ assoziiert, als herkömmliche Fracht- und Passagierflugzeuge bei uns noch nicht die Dimensionen hatten, die wir heute für selbstverständlich halten. [Die Iljuschin 76]

Will man den Südpol überqueren, was mir nicht im Traum einfiele, muß man erst einmal in seine Nähe kommen. Dieter Staudinger und Armin Wirth haben diesen Teil also per Frachtflugzeug absolviert: „Nach knapp 2 Stunden Flug erreichten wir SANAE und wurden dort sehr herzlich empfangen. Wir waren die ersten Menschen nach fast 10 Monaten fuer die Ueberwinterungscrew und die Stationsbesatzung hat sich sehr gefreut.“

Dieter Staudinger und Armin Wirth haben ausgecheckt (Foto: Iceolutions)

Gestern kam nun die Nachricht: „Heute starten Armin Wirth und Dieter Staudinger ihre Tour von der südafrikanischen Forschungsstation SANAE IV. Ein solches Vorhaben wagen nicht viele: Seit Roald Amundsen 1911 den Südpol als Erster erreichte, wählten erst sechs Expeditionsteams eine Strecke über 3.000 Kilometer Länge in der Antarktis.“

Ich hab von Künstler Joseph Beuys eine sehr anregende Überlegung bezogen: „Wenn ich es denken kann, können es andere auch denken.“ Wäre das ebemso auf menschliches Tun zu übertragen? Ich zweifle. „Wenn ich es tun kann, können es andere auch tun.“ hat in diesem Fall vermutlich eher philosophischen Charakter.

Wenn ich nun an Staudinger und Wirth denke, weiß ich nicht, welche Frage vorrangig wäre. „Warum tun sie es?“ Oder „Warum können sie es?“

Ich meine, es war ein GEO-Heft, das sich noch irgendwo in meiner Bibliothek befinden muß, welches mich auf den Bergsteiger Jon Krakauer brachte, der damals von einem tödlichen Fiasko auf dem Mount Everest berichtete. Später kaufte ich mir sein Buch In eisigen Höhen. Ich bin bis heute von dieser Geschichte bewegt.

Mount Everest-Legende George Mallory

In diesem Buch erwähnt Krakauer George Mallory, der 1924 auf dem Everest ums Leben gekommen ist. Mallory war gelegentlich gefragt worden, warum er diesen mächtigen Berg besteige, der einem doch so große Mühen und Gefahren aufbürde. Mallory soll geantwortet haben: „Weil er da ist.“

Ich ahne, daß es dafür keinen besseren Grund geben kann. Und mir kommt in den Sinn, daß uns hier, in der Oststeiermark, ja gerade wieder dämmert, wie wichtig gelegentlich Klärungen sind, die sich genau NICHT zweckrationalen Fragen oder jenen der Alltagsbewältigung widmen. Jenseits solcher Notwendigkeiten bleibt so viel offen, wo wir noch gefordert sind.

Es ist sicher nicht die naheliegendste Möglichkeit, über den Südpol zu gehen, um dieses Noch an menschlichen Möglichkeiten auszuloten. Aber es ist doch eine sehr faszinierende…

[Aloha Antarctica]

Aloha Antarctica

Heute ist, so lese ich, „Weltmännertag“. Zu diesem Thema habe ich nichts beizutragen. Aber da ereignet sich gerade eine bemerkenswerte Geschichte, von der ich erzählen will.

Der Gleisdorfer Dieter Staudinger hat in Armin Wirth einen Weggefährten für eine Route gefunden, welche sich die meisten von uns gar nicht vorstellen möchten. Die beiden Männer starten in den nächsten Tagen von der Station SANAE, um auf einer komplett unerforschten Route zum Südpol zu gehen. GEHEN! Das macht rund 2.200 Kilometer; falls sich die Männer nicht verlaufen. Von da aus geht es dann über eine schon erforschte Route zum Hercules Inlet am Ronne-Eisschelf; macht weitere 1.300 Kilometer. November, Dezember, Jänner.

Dieter Staudinger (Foto: Iceolutions)

Die Männer werden auf Skiern unterwegs sein und ihre Habseligkeiten auf Schlitten (Pulkas) mit sich führen. Da sind rund 150 Kilo pro Person zu bewegen. Bei gutem Wind wollen sie Kites auspacken. Ich vermute: Nur bei guter Sicht. (Man möchte gewiß weder zu Wasser, noch zu Land, noch in der Luft gegen einen Eisberg knallen.)

Ich bin so frei, mir nicht genauer auszumalen, was einem so ein Gang abverlangt.

Als Autor, der die Heizkosten seiner Bleibe heuer auch noch schafft – es gibt ja reichlich, worüber zu schreiben ist –, ziehe ich die warme Stube vor. Wenn mir nach Abenteuer ist, dann renne ich schon auch gelegentlich ins Ungewisse, aber in wesentlich bescheideneren Dimensionen.

Der Gang zu Staudingers Gleisdorfer Heim wäre von mir aus ein netter Spaziergang, die Region ist eher lieblich, war, seit ich sie kenne, noch niemals rauh. Staudinger geht also in extremen Kontraste zu dem, was wir hier kennen.

Sieht man allerdings genau hin, was bei ihm zur Debatte steht, um dieses Polar-Tour zu bewältigen, zeigen sich mögliche Anregungen. Da heißt es etwa: „Einen Schritt nach dem anderen gehen, einen Tag nach dem anderen nehmen.“ No na? Eh klar?

(Foto: Iceolutions)

Natürlich kann ich von meiner Warte aus diese Staudinger-Wirth-Geschichte nur als „extrem“ bezeichnen. Aber das hat in unserer Kultur Geschichte. Die griechische Mythologie bietet uns zum Beispiel Ikarus und Dädalus an. Um von der Insel Kreta fliehen zu können, hatte Dädalus für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel angefertigt, die sich bewährten.

Beide flogen in die Freiheit, doch Ikarus in den Tod, da er sich – gegen die ausdrücklichen Anweisungen seines Valters –, zu hoch in die Lüfte und der Sonne zu nahe wagte, worauf das Wachs, von den die Federn der Flügel verbunden wurden, schmolz.

Warum verehren wir eher den leichtsinnigen Ikarus, der seinen Höhenflug mit dem Leben bezahlte? Warum erscheint uns Dädalus dagegen fast blaß? Darüber lohnt es sich wohl, nachzudenken; so dämmert einem vielleicht, was das Staudinger-Wirth’sche „Einen Schritt nach dem anderen gehen, einen Tag nach dem anderen nehmen.“ bedeuten mag.

Nehmen wir an, es wollen beide ihre Leben nicht in einer großen Geste verausgaben, sondern vom Südpol auch zurückkehren. Nehmen wir an, solche Kräftespiele finden sich gleichermaßen im Alltag; in eine persönliche Zukunft führend oder gelegentlich tödlich.

Nun zeichnet sich ein wenig ab, warum mich diese Südpolwanderung eines Gleisdorfers und seines Weggefährten gerade so anspricht. Wir konnten kürzlich in Gleisdorf und Weiz den Auftakt zu einem erhofften Prozeß erleben. Ein Prozeß des Reflektierens und Debattierens. Dabei mögen wir uns der Frage stellen, wie diese Region 2050 befindlich sein könnte und ob wir auf dem Weg dort hin gestaltend auf jene Prozesse einwirken können, die diesen fernen Status quo herbeiführen.

Wagnisse. Keinerlei Massenphänomene. Eine Summe von Entscheidungen und Taten einzelner Personen. Manches davon banal, manches davon vielleicht bedeutend. Voller Risken und ohne jede Klarheit, was genau einen im nächsten Abschnitt erwartet, wie die Wege dorthin beschaffen sein werden.

Sehen Sie nun, wie interessant es sein kann, solchen Männern ein wenig über die Schultern zu sehen? Was auch immer die Motive von Staudinger und Wirth sein dürften, was auch immer ihre Erfahrungen sein werden, allein die Tatsache, daß sie in derlei Unbekanntes aufgebrochen sind, wissend, es wird überaus beschwerlich sein, enthält etwas von Ermutigung auch für sehr viel einfachere Wege.

P.S.:
In meinen Vorstellungen sehe ich die beiden Männer als GEHEND, auch wenn sie Skier verwenden, zuweilen den Kite als Segel. Kleine Schlittenfahrten werden dabei vielleicht einen Teil der Strecke ausmachen, aber Skier sind doch bloß reichlich große Schuhe und letztlich müssen die Männer ihren Leibern, vor allem ihren Beinen trauen können, also: gehen.

[Aloha Antarctica]