Mars: Rollenklarheit

Es steht jedem Menschen persönlich vollkommen frei, Erfahrungen und Strategien zu suchen, um sich menschenverachtenden Kräftespielen zu entziehen oder auch anzuschließen. Menschen haben Interessen und werden diese aufgrund ihrer individuellen Konzepte auf ganz unterschiedliche Art verfolgen.

Mahnmal zur Erinnerung an die wehrlosen Opfer des Massenmordes von Kosarac.

Ich stamme aus einem Clan, in dem seinerzeit nicht bloß Mitläufer, sondern auch Täter zu finden waren. Ich bin also mit den Originalen des historischen Faschismus aufgewachsen und war als Kind manchen Dingen ausgesetzt, die es nicht geben dürfte.

Es gibt Faschismustheorien und psychologische Deutungen, die nachvollziehbar machen, weshalb sich jemand, der überwältigt wurde, seinen Peinigern anschließt, zu einem Teil deren Gefolgschaft wird. Es gibt aber auch Evidenz, daß Menschen, welche den Peinigern und Mördern entkommen sind, diese Kränkungen und Qualen überwunden haben, um mit anderen Prinzipien an einem Stück der Welt, das sich gegen die Tyrannei abschirmt, teilzuhaben.

Ich denke da nicht nur an exponierte Persönlichkeiten wie Viktor Frankl, Primo Levi oder Ceja Stojka. Ich denke da auch an Überlebende der Todescamps auf dem Balkan der 1990er Jahre, mit denen ich Gespräche gesucht hab.

Halten wir im Blick auf die letzten rund 200 Jahre fest, daß jede westliche Tyrannei ein Ablaufdatum hatte. Auch wenn Adolf Hitler und Albert Speer darüber debattiert haben, wie ein Prachtbau gestaltet sein müsse, daß er nach tausend Jahren als Ruine immer noch imposant aussehen würde, diese Flausen haben kein halbes Jahrhundert gehalten.

Die Tyrannei endet freilich nicht von selbst, fällt nie einfach in sich zusammen. Sie braucht Widerstand, Gegenwehr. Dabei liefe man Gefahr, die Seite zu wechseln, wenn man die selben gewaltsamen Mitteln der Tyrannei gegen sie anwenden wollte. Oder man unterliegt, wie es etwa die internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg erfahren mußten.

Wer heute für Frieden eintritt und mir mit Ghandi kommt, hat mindestens die Hälfte des 20. Jahrhunderts verschnarcht. Ich hab so allerhand erregte Kleinbürger erlebt, die auf Wissenserwerb verzichten und sich mit einigen Schlagworten wichtig machen.

Würden sie ihre Zeit nicht mit großspurigem Geschwafel vergeuden, sondern sich das vorige Jahrhundert genauer ansehen, wären sie vielleicht auf Persönlichkeiten wie Gene Sharp gestoßen, der sehr konkrete Strategien entwickelt hat, wie man gewaltfrei gegen Tyrannen vorgehen kann. Natürlich hatte sich Sharp auch mit Ghandi befaßt und andere Quellen genutzt.

Aber bloß prominente Namen herzubeten ist nutzlos und eitel. Es macht dagegen viel Arbeit, deren Erkenntnisse zu reflektieren und auf der Höhe der Zeit daraus Schlüsse zu ziehen, die dann auch in eine Praxis überführt werden.

Das bedarf unter anderem der Rollenklarheit. Ich werde mich womöglich entscheiden müssen, in welcher Eigenschaft ich anderen Menschen gegenüberstehe. Es wäre legitim, ein Mönch oder Eremit zu werden, der spirituelle Erfahrungen macht und dadurch große Klarheit gewinnt. Spirituelle Erfahrungen sind aber außersprachlicher Natur, innere Vorgänge, nicht geeignet, um sich nach außen zu „stülpen“.

Mordwerkzeuge, mit denen in Jasenovac wehrlose Menschen geschlachtet wurden.

Dazu müßte ich Prediger werden. Oder Agitator. Jemand, der die Ratio auf spirituelle Erfahrungen anwendet, das Erfahrene in Worte kleidet, mit Sprache und Redekunst unter die Menschen geht. Dabei bleibt immer eine „semantische Kluft“ offen. Das Wort, um etwas zu bezeichnen, und das Bezeichnete selbst, über das geredet wird, brauchen eine innere Beziehung, die von anderen Menschen verstanden werden kann. Bezeichnendes und Bezeichnetes bleiben dabei aber getrennte Kategorien.

Man könnte sich natürlich überdies für die Rolle des Lehrers, der Lehrerin entschließen. Also jemand werden, der Mitmenschen anleitet, selbst besondere spirituelle Erfahrungen zu machen. Ich würde allerdings jedem Lehrer mißtrauen, der sich als Agitator hervortut. Das sind ganz verschiedene Rollen, die sich wechselseitig kontaminieren, womöglich beschädigen würden.

Bliebe noch die Rolle des Erzählers. Die sehe ich in Formen der künstlerischen und wissenschaftlichen, auch der journalistischen Literatur umgesetzt. Es ist eines der Alarmzeichen, welche von der Tyrannei ausgelöst werden, wenn es da zu pauschalen Herabwürdigungen, zu allgemeinen Verunglimpfungen kommt.

Wenn etwa „Die Medien“ oder „Die Leitmedien“ generell als „Lügenpresse“ diffamiert werden, wenn man „Der Wissenschaft“ generell Korruption unterstellt etc. Und all das ohne präzise ins Detail zu gehen, sondern indem man dieses „Na, du weißt eh…“ vorträgt. Das ist Dienst an der Tyrannei.

+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck

Postskriptum
Bedenken Sie! Wer heute ein „Nie wieder!“ herumposaunt, hat womöglich mangels tieferem Interesse ignoriert, daß diese Bedrohung nie weg war, sondern bloß durch zivilisatorische Ketten gebändigt war. Ketten. die jederzeit reißen können.-

Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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