Ich muß akzeptieren, daß sich auf dem Boulevard gegen übliche Strategien zur Umsatzsteigerung von Zeitschriften direkt kaum etwas ausrichten läßt. Da haut publizistisches Personal Kerbe um Kerbe in unsere Gesellschaft.

Dem Boulevard stehen allerhand Nischen gegenüber, in denen ein seriöses Engagement für die Menschenwürde gelingt. Vielleicht bedeutet Demokratie vor allem, daß wir dieses Kräftespiel zwischen Nischen und Boulevard kontinuierlich aufrecht erhalten und verfeinern müssen.
Ein aktuelles Beispiel. Am Sonntag, dem 21. Dezember 2025, hat ein erregter Headliner die Eins der Kronenzeitung so aufgemacht: „Ehrenmörder fordert eigene Abschiebung“. Zur Erläuterung: „Verurteilter Afghane will Haftstrafe verkürzen“. Finden Sie den Fehler!
Nein, ich meine nicht den Zynismus, der aus diesem Aufmacher herauskullert. Es hatte übrigens auch jemand bei „Heute“ in eben diese Kerbe gehauen. Zitat: „Ehrenmord! ‚Killer-Bruder‘ bettelt jetzt um Abschiebung“. Das wurde dort am 20.12. so erläutert: „Er hatte seine Schwester wegen ‚gekränkter Familienehre‘ getötet. Jetzt plant Hikmatullah S. offenbar eine Verkürzung seiner Haftstrafe.“

Das Framing
Ich finde keinen vertretbaren Grund, das Konzept dieser Kanaille zu übernehmen und es auf einer Titelseite zu promoten. Der Mann ist kein „Ehrenmörder“, sondern ein Mörder. Bei uns sollte derlei Framing nicht möglich sein, in dem die Kategorien Ehre und Mord verknüpft werden.
Das eigene Ego aufzupolieren, indem man dafür Körper und Verhalten von Frauen instrumentalisiert, ist eine radikale Fehlleistung in Teilen der vorherrschenden Männerkultur. Es bleibt eine obszöne Anmaßung, dafür ein Leben zu nehmen. Die fehlgeleitete Sprachkonstruktion verleitet zur Annahme, es könnte wenigstens in irgendeinem Sinn Ehre im Ermorden eines Menschen begründet sein. Das ist nicht der Fall.
Da Sprache Realität erzeugt, ist so eine Wortschöpfung unakzeptabel. Der „Ehrenmörder“ ist, wie erwähnt, bloß ein Mörder. Seine Motive sollten uns interessieren, aber wir dürfen sie in der Berichterstattung nicht mit dem Begriff Ehre „adeln“.
Doch ich verstehe, daß dieses Wort, wie auch die völlig besinnungslos verfaßte Formulierung „Killer-Bruder“, kommerzielle Gründe und leicht generierbare Publikumseffekte hat. Wie schon angedeutet, der Boulevard wird sich dabei vermutlich nicht ändern lassen, aber in Nischen ist dagegenzuhalten.
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Postskriptum
In „Heute“ war zu lesen: „Die laut Reisepass erst 14-jährige Bakthi hatte ein westlicheres Leben führen wollen. Dafür wurde sie im September 2017 im Innenhof eines Favoritener Gemeindebaus von ihrem eigenen Bruder Hikmatullah S. mit deutlich mehr als zwanzig Messerstichen getötet.“
Ich nehme an, das Töten ist eine Sache und kategorial vom Abschlachten eines Menschen mit einem Jagdmesser andrerseits zu unterscheiden. Ich bin überzeugt, selbst ein junger ungeübter Mann braucht keine „deutlich mehr als zwanzig Messerstiche“, um das Leben einer Vierzehnjährigen zu nehmen, wenn er ihr körperlich überlegen ist.

Sie habe „die Ehre der Familie beschmutzt“ und „keinerlei Respekt ihm gegenüber gezeigt“, hieß es. Er, der laut „Kurier“ gerade einmal 22 Jahre alt ist, hatte sich also „Respekt“ verdient? Zitat: „Andererseits hatte er bis zuletzt keine Reue gezeigt, hob die Oberstaatsanwältin hervor.“
Auch wenn dieser Gewaltexzeß nicht gerade alltäglich erscheint, sehe ich darin einen Geist manifestiert, den ich in etlichen Varianten kenne. Der drückt sich oft in sprachlichen Entgleisungen gegenüber Frauen aus. Das muß nicht zu so einem Verbrechen führen, aber es stammt aus der gleichen Quelle.
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