Orange: Die Präsenz des Anderen

Es ist in unserer Kultur sehr verbreitet, über Menschen zu verfügen, indem man über ihre Körper verfügt. Das beginnt nicht erst mit dem physischen Zugriff. Es beginnt mit dem, was Philosophin Elisabeth List als die „Politik der Benennung“ analysiert hat.

Philosophin Elisabeth List (†)

Und Geschlechterdifferenz? Zu diesem Stichwort haben wir nach wie vor großen Klärungsbedarf. Da lasten tradierte Herrschaftsmodelle auf allen Arten von Gemeinschaften. Eine der Konsequenzen: Es läßt sich nicht irgnorieren, wie hoch das Maß an Gewalt gegen Frauen und Mädchen in unserer Gesellschaft ist, wobei ein markanter Anteil an sexualisierter Gewalt eine unerträgliche Dimension hat. Das beginnt mit Blicken, mit Worten, das kann in Mord münden, womöglich mit einem larmoyanten „Habe sie geliebt!“ kostümiert; siehe: [Link]

All das zeigt sich unter anderem in zahlreichen Varianten einer Bewirtschaftung des weiblichen Körpers. Ich habe zur Anschauung ein Inserat aus der Mitte der 1970er Jahre aus meinem Archiv gezogen, das aus heutiger Sicht eigentlich unbegreiflich ist. Was könnte ein sachlicher Grund sein, daß die Frau beim Hörgenuß, welchen erstklassige Tonbandkassetten bieten, nackt im Raum sitzt? Es gibt keinen, der mit dem beworbenen Produkt in Verbindung stünde.

Androzentrische Prämissen
Im Grunde ist da ein pornografisches Konzept wirksam, welches Betrachter sexuell triggern soll, um so ein nüchternes Produkt mit einer thematisch ganz anderen Emotion zu verknüpfen und Kasse zu machen. Was raunt so ein Bild? Hier das Weib, die pure Natur, dort die Technik. Von wem zur Prime Quality entwickelt, damit die Frau sich hingibt? Na, von gestandenen Ingenieuren.

Die 1970er: Ein heute bei uns unvorstellbatres Werbe-Sujet.

Das sind androzentrische Prämissen: Die naturnahe, irrationale, gefühlsbetonte, passive und schließlich gebärende Frau als Empfangende. Der technische, rationale, objektive Kerl in der Rolle des Homo faber, der gebende Mann.

Philosophin List hat diesbezüglich in ihrem Buch „Die Präsenz des Anderen“ (Theorie und Geschlechterpolitik) einiges zurechtgerückt. Ich nehme das als eine der Anregungen für jene Grundlagenarbeit, die unverzichtbar ist, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht bloß im Bereich des Handelns zunehmen zu blockieren. Wir müssen an den Paradigmen dieser vorherrschenden Männerkultur vieles ändern, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens zu erreichen, durch den solches Verhalten geächtet wird.

Zitat Elisabeth List: „In seiner Leiblichkeit ist der Mensch Naturwesen, was bedeutet, daß er als Erkennender nicht der absolute Souverän seines Wissens ist; Leiblichkeit so eine zwar verschiebbare, aber grundsätzlich nicht aufhebbare Grenze des Wissens und des Wißbaren.

Damit erlangt der Körper eine zentrale Bedeutung für die Erfahrung und die Inszenierung von Geschlechteridentität und sexuelle Beziehungen. Leiblichkeit ist dergestalt das entscheidende Thema jeder Geschlechterpolitik, die zugleich immer so etwas wie eine ‚Erkenntnispolitik‘ einschließt.“