Über die Kunst

Es gibt kein „unfehlbares“ Kunsturteil. Wozu auch? Es entstehen in der Kunst keine „Wahrheiten“ indem man Widersprüche eliminiert. Wozu auch?

Nein, kein Kunstwerk. Gebrauchsgrafik.

Ich bestaune seit vielen Jahren, womit Kunst oft befrachtet wird, assoziiert wird, gebeugt wird. Sehr beliebt ist es, die Kunst als eine Art Reparaturanstalt für gesellschaftliche Defizite zu benutzen, sie als ein „Mittel um zu“ in Stellung zu bringen. Vor allem in bildungsbürgerlichen Kreisen ist es recht populär, der Kunst so allerhand Nützlichkeit aufzubürden. Oder Budgets zu lukrieren, indem man Phantasmen bewirtschaftet.

Sehr beliebt und ziemlich von gestern ist etwa die Schrulle, eine „völkerverbindende“ Wirkung zu behaupten, die sich angeblich einstellt, wenn man ein Grüppchen aus wenigstens drei Ethnien zusammenstellt und auf ein Publikum losläßt. Das sind entsetzliche Flausen, die ich eher unter Guerilla Marketing einordnen möchte.

Der überaus geistreiche Roger Willemsen hat 2011 einen Vortrag zum Thema „Angriff auf die Demokratie“ mit einer anregenden Anekdote eröffnet. Demnach soll der Komponist Arnold Schönberg mit einem jungen Mann über Kunst gestritten haben. An einer Stelle sagte der junge Mann: „Das kann ich beweisen.“ Schönberg erwiderte mißvergnügt: „In der Kunst kann man überhaupt nichts beweisen.“ Er machte eine Pause, fügte an: „Und wenn, dann nicht Sie.“ Nach einer weiteren Pause sagte Schönberg: „Und wenn Sie, dann nicht mir.“

Aber wo führt das hin? Ich verrate es Ihnen. Ganz offensichtlich verfügen wir Menschen als einzige Spezies über symbolisches Denken. Wir können uns also etwas vorstellen, das es nicht gibt. So sind uns Annahmen über Kommendes möglich. Auch Schaffenskraft, um Dinge zu kreieren, die uns niemand gezeigt hat.

Vor allem aber haben wir über das symbolische Denken und eine seiner Leitdisziplinen, die Kunst, vielfältige Möglichkeiten, uns mitzuteilen, uns auszutauschen, den Mitmenschen über innere Vorgänge Auskunft zu geben. Dadurch konnten wir uns zum Beispiel in hohem Maß von Triebsteuerungen unabhängig machen und wir sind keine Sklaven unserer Gene.

Was soll denn die Kunst noch alles können und nützten? Lächerliche Flausen der kleinkrämerischen Art, die mich annehmen lassen: So zeigt sich in einer von vielen Varianten die Furcht vor Freiheit, also vor Eigenverantwortung. Da wird es jemandem unheimlich, sich dieser tieferen Bedeutung von Kunst auszuliefern, die nicht auf eine alttägliche Art nützlich ist, sondern in sehr grundsätzlicher Weise.

+) Feuilleton