Mars: Selbstreferenzielle Behauptungs-Strategien

Ausgangspunkt dieser Kolumne war eine Meinungsverschiedenheit, die ich mit Musiker Christoph Wundrak hatte. Er trägt Schlußfolgerungen aus seinen spirituellen Erfahrungen in den öffentlichen Diskurs, was einem freistehen muß.

Bilder wie vom Cover eines Groschenromans sind meist ein Hinweis auf sehr flache Gewässer des Denkens. Na klar wird da „Tiefe“ behauptet.

Ich bin auf einem anderen Kontinent zuhause, da gelten für öffentliche Diskurse andere Konventionen. Seine Betonung des Spirituellen hat unter anderem eine markante Funktion. Es entbindet einen von weitreichendem Wissenserwerb, der nötige Arbeit ist, um die Geschichte Europas zu verstehen und eine Vorstellung zu entwickeln, was Krieg ist, was Faschismus ist, wie das funktioniert.

Solche Kenntnis wären wichtige Grundbedingungen, um präfaschistische Entwicklungen zu stoppen. Erspart man ich selbst solchen Wissenserwerb und versüßt man sich diese Haltung, indem man Diskursräume diffamiert, also etwa „Die Wissenschaft“, „Die Medien“ etc., passiert unter anderem genau das, was Wundrak getan hat.

Er war mit seiner spirituellen Kompetenz nicht fähig, ein faschistisches Pamphlet a) zu identifizieren und b) dem Desinformations-Unternehmen der Crew von Putin zuzuordnen. Also hat er es geliked und weiterberbreitet.

Ein belesener Mensch, in Debatten erfahren, mit Weitsicht gerüstet, hätte allein durch das Fazit jenes faschistischen Pamphlets stutzig werden können. Es lautet: „Einzig und allein die USA und die Ukraine haben diesen Krieg begonnen!“

Diese Behauptung ergibt keinen Sinn, weil es in globalen Krisenlagen so ein „einzig und allein“ nicht gibt. Derlei Kräftespiele sind keinesfalls monokausal. Das waren sie schon 1914 nicht. Aber wie soll man das ohne hinreichende Geschichtskenntnis wissen?

Es ist eine dieser typisch generalisierenden Aussagen, mit denen auch der Faschismus arbeitet. Simple Feindbilder in simplen Erklärungen komplexer Zusammenhänge. Wundrak setzt diese Kommunikationsstrategie fort. Jüngstes Beispiel, das so beginnt: „Die Menschen sagen, sie wollen Frieden. Aber ihr Nervensystem ist auf Krieg gepolt.“

Aha. „Die Menschen“ also, mit ihrer „Die Sucht nach Chaos“. So ist die Welt belebt? Antje Maria Anna Heidenreich, die derlei raushaut, „Hat Kunst- und Medienwissenschaft hier studiert: Universität Konstanz“. Beeindruckende Kompetenz! Sie zeigt sich auf Facebook unter anderem mit Fotos a la „schmollendes Mäderl“.

Es geht doch nichts über das Gefühl von Erhabenheit und singulärer Exzellenz!

Aus dieser Position werden „Die Menschen“, weltweit immerhin 8,16 Milliarden, mit folgender Ferndiagnose versehen: „Die Menschen behaupten, sie wollen Frieden. Doch viele von ihnen ziehen sich zurück, wenn ihnen Frieden angeboten wird. Nicht metaphorisch physiologisch. Ihr Körper lehnt ihn ab. Ihr Nervensystem erkennt ihn nicht als sicher.“

Für diese Diagnose verbeugt sie sich übrigens von Joe Turan, einem Life Coach, Tantra & Kuscheltherapeuten. Ich tippe da primär auf Guerilla Marketing, staune über die frivole Chuzpe, wie da ganz allgemein dahinbehauptet wird, wobei ich natürlich keine soliden Quellenangeben finde. Also frage ich mich: Woher wissen die das? Und wie können sie über 8,16 Milliarden Menschen derart allgemeine Aussagen treffen?

Auf meinem Kontinent würde das als radikal unseriös gelten, denn solche generellen (Fern-) Befunde sind völlig wertlos und daher unzulässig. Aber ein Teil meiner Mitmenschen verzehrt sich nach „Geheimwissen“, nach „Wahrhaftigem“, etwa nach Stoff, den Turan so anpreist: „Nur für die, die wirklich tief tauchen wollen. Früher Zugang zu exklusiven, vollständigen Texten – roh, direkt, ungefiltert. Was du hier liest, ist nichts für den Feed. Zu echt. Zu nah.“

Das sind Verlockungen, die jemandem letztlich eine Art „Herrschaftswissen“ versprechen, durch das sich einzelne Leute über andere erheben mögen. Wundrak hat es eben erst angedeutet. Das Meme rät: „Besser alleine auf dem richtigen Weg, als mit der Masse in die falsche Richtung.“

Es hat ungefähr die Qualität von „Alles Nutten, außer Mama“. Und hier kommt der Trick, das Versprechen, man werde jemand von singulärer Exzellenz sein: „Dieses Zitat ruft zur moralischen Standhaftigkeit und zur inneren Überzeugung auf. Es erinnert uns daran, dass es mutiger und richtiger ist, allein für das Richtige einzustehen, als blind der Mehrheit zu folgen, auch wenn sie sich irrt.“

Pure Behauptungs-Pornographie, mit der man anderen Menschen seinen Weltekel zumutet.

Natürlich erfahren wir nicht, nach welchen Kriterien und mit welchen Gründen festgestellt werden könnte, wer blind folgt und wer als „moralischen standhaft“ gelten darf. Das ist auch nicht nötig, denn hier werden selbstreferenzielle Behauptungs-Strategien beworben.

+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck

Postskriptum
Ich bin recht überzeugt, daß die Facebook-Quelle, welche Wundrak da nutzt, ein Fake-Profil ist. Für Birkenbihl viel zu plumpe Inhalte. Im Vergleich dazu die Inhalte einer Birkenbihl-Site, die mir einen authentischen Eindruck macht: [Link]