Ich erlebe in derlei Situationen stets wieder den Klassiker. Und der geht so. Ich werde gefragt: „Ja, kannst du mir jetzt erklären, was Faschismus ist?“

Das mache ich nicht. Aus einigen guten Gründen. Ich kann Ihnen jederzeit erklären, wie man Palatschinken macht oder wie man beim Wechsel eines Rades am Auto die Radmuttern richtig anzieht. Minimale Komplexität. Leicht zu erklären.
Der Faschismus ist ein äußerst komplexes Thema, das sich außerdem – seit Mussolini politisch reüssiert hat – in seinen Erscheinungsformen gründlich gewandelt hat. Ich bin sicher, es gibt Genies, die bieten „Faschismus für Dummies“ an, vielleicht irgendeine verkürzte Readers Digest-Version, was weiß ich.
Bei solchen Schlampereien mache ich nicht mit. Aber ich kann Ihnen gerne etwas anderes anbieten. Nämlich einige Anregungen und ein paar Orientierungshilfen, wie man sich in dieser Themenstellung zum eigenen Nutzen sachkundig macht.
Welcher Nutzen? Vielleicht ziehen Sie es vor, ein politisch anwesender Mensch zu sein und in einer Demokratie das Grundlegende beizutragen. Grundlegend ist zum Beispiel, sich mit Machtkonstruktionen ein wenig auszukennen. Da könnte es Ihnen diese Angelegenheit wert sein, sich sachkundig zu machen. Es verlangt, wie auch etliche andere Lebensbereiche, einen Arbeitsprozeß und ist im Modus „Schnellsiedekurs“ nicht zu erledigen.

Falls es Ihnen mit dem Thema Faschismus ernst ist, geben Sie dem dazu nötigen Wissenserwerb entsprechende Priorität und ein angemessenes Zeitguthaben. Sollte es Ihnen diesen Aufwand nicht wert sein, abonnieren Sie die Kronenzeitung oder suchen Sie sich einen Guru und machen Sie ein paar Wochenendseminare. Geht auch. Führt bloß woanders hin.
Meine Empfehlung lautet: Holen Sie sich erst einmal einen ungefähren Eindruck, womit Sie es da zu tun bekommen. Achten Sie darauf, was das mit Ihnen macht. Dann werden Sie einen Eindruck gewinnen, a) ob Sie und b) wohin Sie allenfalls weitermachen möchten, um sich das Thema anzueignen.
Ich hab vorhin schon den Wissenserwerb betont. Das bedeutet: Sie suchen Sich erst einmal anregende Informationen. Das ist der Auftakt. Wenn Sie gefundene Informationen reflektieren, kann daraus Wissen werden. (Informationen und Wissen sind ganz verschiedene Kategorien.)
Es gibt zwei recht schlanke Büchlein, die mir zum Einstieg sehr nützlich erscheinen. Erstens „Der ewige Faschismus“ von Umberto Eco, mit einem Vorwort von Roberto Saviano. Genau! Saviano ist der neapolitanische Camorra-Kenner. (Faschismus hat ja eine Menge mit organisiertem Verbrechen zu tun, ist gewissermaßen ein Meisterbetrieb dieses Genres.)

Eco bietet auf zarten 80 Seiten einen Kriterienkatalog an, um Zustände auf der Höhe der Zeit zu beurteilen. Dazu schlage ich zweitens die Lektüre eines historischen Dokuments vor: „Rede an den kleinen Mann“ von Wilhelm Reich. Der Psychiater bietet auf überschaubaren 128 Seiten Einblicke in die seelischen Kräftespiele, aus denen seinerzeit offenkundig ein spezielles Verlangen entstand, jemandem Gehorsam zu leisten.
Faschismus-Kriterien, Seelenzustände, falls Sie nun weitermachen möchten, könnten Sie interessant finden, wie Sprache gesellschaftliche Realität erzeugt, was in der aktuellen Mediensituation äußerst brisant ist.
Literaturwissenschafter Victor Klemperer hat 1947 sein „LTI – Notizbuch eines Philologen“ vorgelegt. Das mühelos lesbare Buch über die „Lingua Tertii Imperii“, die Sprache des Dritten Reiches, mag Ihnen ebenso zu heutigen politischen Diskursen sehr aufschlußreich erscheinen.
Und wo immer Sie auf ein Buch von oder Interview mit Hannah Arendt stoßen, das lohnt sich allemal, falls Sie Ihre Kenntnisse vertiefen möchten. Da ich schon mehrfach betont habe, Faschismus sei die die prägnante Ausdrucksform einer vorherrschenden Männerkultur, könnten Sie bei erhöhter Lesefreude Klaus Theweleit sehr aufschlußreich finden.
Seine zwei Bände zum Thema „Männerphantasien“ erschien 1977/1978 und ich halte sie nach wir vor für eine bedeutende Orientierungshilfe zum Themenkomplex Patriarchat und Faschismus. Was Eco und seine Auffassung von Ur-Faschismus betrifft, habe ich hier schon einmal wesentliche Punkte zusammengefaßt: „Gleisdorf: Betrachtungen #10“. In meiner nächsten Notiz zum Thema Faschismus werde ich Ihnen Kriterien vorlegen, die aus dem Lager stammen, in dem ich stehe. [Fortsetzung]
+) Vorlauf: Faschismus II
+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck