Ressentimentalismus III

Stellen Sie sich ein Ressentiment wie eine Blechkiste vor. Stabiler Deckel, Schloß, Aufschrift. Das Ding ist gut stapelbar. Eine Kiste pro Thema, das Sie bewegt. Babynahrung? Sozialismus? Geländewagen? Epidemien? Mikrowellenherde? Bundeskanzler? Ganz egal!

Geschlossene Festung oder offene Oase?

Was immer Ihnen zu Herzen geht, her mit der Kiste! Das Praktische am Ressentiment: Man muß nicht recherchieren, nichts lernen, sich nicht erst aus Informationen Wissen erarbeiten. Tun Sie in die Kiste, was auch immer Ihnen grade in den Sinn kommt. Deckel zu, Schlüssel umgedreht, fertig ist das Vorurteil.

Kann man nun stapeln. Es ist nicht mehr nötig, das ganze einer kritischen Prüfung oder einer Aktualisierung zu unterziehen. Ressentiments stehen im Rang „ewiger Werte“. Wenn Sie dann genug Kisten beieinander haben, können Sie daraus eine Festung bauen. Ein Bollwerk gegen Zweifel und Kritik. (Zugleich ein Sockel, um sich selbst zu erhöhen.)

Machen Sie alles ein wenig hübscher, indem Sie die Mauer auch noch verputzen. Womit? Mit Klischees. Die sind zugleich ein Kitt, der den Stapel zusammenhält. Aber vergessen Sie nicht auf Mauerdurchlässe. Fensterchen.

(Quelle: Facebook)

Die sind nötig, um Menschen zu sanktionieren, deren dumme Fragen einen stören, deren Einwände einen belästigen. Durch diese Mauerdurchlässe kann man Grobheiten rausschmeißen, ohne daß man seine Deckung verlassen muß. Beleidigungen, Schimpfworte aller Art, sind ja gewissermaßen die Granaten des Ressentimentalisten.

Schauen Sie sich das etwa in den Social Media an. Ein Beflegeln Andersdenkender, ohne daß man Gründe nennt und Belege anbietet, dieses – ich möchte sagen – spirituelle Erkennen der Deppen, denen man dann angemessen Bescheid gibt, braucht kein rationales Verfahren. Man fühlt es und schlägt zu.

Wozu nun derlei verkürzte Verfahren? Ich habe den Hauptgrund in der vorigen Notiz schon erwähnt. Neurobiologin Leor Zmigrod meint, daß wir nicht ein Gehirn haben, sondern eines sind. Dazu konstatiert sie: „Das erste Prinzip des menschlichen Bewusstseins ist: Das Gehirn ist ein vorhersagendes Organ. Es lernt von seiner Umwelt und versucht zu erkennen, was als nächstes geschehen wird.“

(Quelle: Facebook)

Diesem Bedürfnis kann man nachgehen, indem man kognitiv flexible Denkstrukturen bevorzugt und entsprechend pflegt. Oder man findet derlei Offenheit mit all den Zweifeln und ständigen Neuerungen beunruhigend. Dann wird man vielleicht eher rigide Denkstrukturen schätzen. Beide Möglichkeiten mit all ihren Varianten lassen sich etablieren und verändern sogar das jeweilige Gehirn physiologisch.

Man ist dem freilich nicht unrettbar ausgeliefert, kann es auch ändern; falls man möchte. Unser Gehirn läßt Kurswechsel zu. Eric Kandel war ein Psychiater und Neurowissenschafter, der für seine Arbeit einen Nobelpreis erhielt. Von ihm hab ich den Hinweis bezogen, daß sich unser Gehirn unterm Denken laufend physiologisch verändert. Festung oder Oase? Geschlossene Weltbetrachtung oder offener Umgang mit dem Lauf der Dinge? Das entscheiden wir jeweils selbst.

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