Ich mußte jüngst einige meiner Annahmen über den Faschismus unserer Gegenwart anpassen. Davor hatte ich gedacht, ich käme damit zurecht, den Neofaschismus vom historischen Faschismus zu unterscheiden.

Einer der Denkanstöße dazu wurde für mich Fintan O’Toole, dessen Erläuterung „Trial runs for fascism are in full flow“ in The Irish Times übeaus anregend ist. O’Toole: „Fascism doesn’t arise suddenly in an existing democracy. It is not easy to get people to give up their ideas of freedom and civility. You have to do trial runs that, if they are done well, serve two purposes. They get people used to something they may initially recoil from; and they allow you to refine and calibrate. This is what is happening now and we would be fools not to see it.” [Quelle]
Ich meinte erst mit dem historischen Faschismus jenen, der durch Mussolini in die Gänge kam, mit Hitler Triumphe feierte; bis hin zu kleineren Formationen wie den ungarischen Pfeilkreuzlern oder den kroatischen Ustaschen und anderen Kanaillen. Ernst Nolte hatte 1963 eine breitere Debatte über diese Phänomene eröffnet. In der Habermas-Kontroverse (Historiker-Streit) wurde dann genauer herausgearbeitet, was damit gemeint sei.

Mit Neofaschismus meinte ich vor allem politische Parteien, die sich juristisch unangefochten in diese Tradition stellen dürfen. So zum Beispiel die postfaschistischen Fratelli d’Italia, deren politische Wurzeln evident sind. Diese Partei stellt mit Giorgia Meloni derzeit Italiens Ministerpräsidentin.
Mit der Zuschreibung „faschistisch“ muß man nicht nur aus inhaltlichen, sondern auch aus rechtlichen Gründen sehr achtsam sein. Sowas kann einem schnell teure Klagen einbringen. Europa ist aber inzwischen mit starken rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien unterfüttert. Statista bietet einen kompakte 2025er Überblick: [Link] Das Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg gibt eine gute 2024er Zusammenfassung: [Link]
Ich fand es kürzlich noch hinreichend, die im rechtsextremen Spektrum auffindbaren faschistischen Potentiale, plus die seit den 1980ern sehr erfolgreiche Neue Rechte Europas, unter dem Begriff Neofaschismus zusammenzufassen; im Kontrast zu den ursprünglichen Originalen, mit denen ich übrigens innerhalb meines Clans aufgewachsen bin. (Weshalb ich mich da für einen Insider halte.)
Seit jedoch Präsident Putin mit seiner Gang die meisten wesentlichen Elemente des Faschismus in der politischen Umsetzung zeigt, muß ich meine Beschriftungen neu sortieren. Es ist offenbar nicht das, was Theatermann Otto Köhlmeier gerne mit antiquierten Floskeln verkündet, wie etwa „Nie wieder!“ oder „Der Schoß ist fruchtbar noch!“ Da mußte nämlich – wie schon erwähnt – nichts wiederkehren, denn es war nie weg. Und der „fruchtbare Schoß“ ist kein Uterus, sondern eine Abteilung der vorherrschenden Männerkultur.
+) Vorlauf: Faschismus V
+) Mars (Eine Debatte über Krieg)
+) Rechtsruck
+) Siehe auch eine kleine Erläuterung auf Seite 2!