Mars: Wundrakiens Nationalbibliothek II

Ich hatte nun zu fragen, wie die jeweiligen Nationalbibliotheken von Wundrakien und Kruschestan beschaffen und bestückt seien.

Was aber, wenn Geist nicht für sich existiert, sondern Geist und Fleisch eins sind?

Wundraks Text ist nämlich keine leichte Kost. Auch für einen höchst Leseerfahren wie mich, hinter dem Jahrzehnte fast täglicher Lektüre liegen. Ein weiter Horizont macht es leichter, etwas zu begreifen, was neu ist, weil dieses Neue dabei viele Anknüpfungspunkte hat. Dazu spielen Bibliotheken eine wichtige Rolle.

Was wir einander mitteilen, beruht ja nie nur auf eigener Empirie und eigener Reflexion. Als spirituelle und kulturelle Wesen sind wir regional in einen jeweils soziokulturellen Kanon der Inhalte, Zeichen und Symbole verwoben, sind wir mit diesen oder jenen Codes vertraut, welche wir lesen und verstehen können. Da wurde uns bewußt und unbewußt sehr viel mitgegeben. So geht Kultur.

Dabei bleibt bestimmend, daß unser geistiges und emotionales Innenleben nur auf eine Art direkt betrachtet werden kann. Über bildgebende Verfahren läßt sich Nachschau halten, in welchen Situationen welche Neuronenensembles im Gehirn feuern.

Ab da sind wir auf Deutung und Sprache angewiesen. Semantik, Kontext, Subtext, diese Aspekte habe ich schon erwähnt. So suchen wir im Auskunft geben eine Annäherung an innere Vorgänge und möglichst authentische Aussagen darüber. Aber die Trennung bleibt aufrecht. Das Innere können wir jeweils nur selbst fühlen, erleben, doch weder im Außen zugänglich machen, noch bei anderen direkt betrachten.

Wir überbrücken diese Kluft mit weit mehr Ausdrucksformen als bloß der Sprache. Text ist eine radikale Möglichkeiten, Deutungen sowie rationale Erkenntnisse zu notieren, spirituelle Erfahrungen zu beschreiben. Konnte ich es nun klar machen? Das Beschriebene ist nicht das Erlebte, sondern nur eine Annäherung. Die Lücke dazwischen bleibt bestehen.

Mit Kunstwerken gehen wir in die unauflösbare Lücke zwischen dem Innen und dem Außen.

Aber wir können diese Lücke zum Beispiel mit Kunstwerken füllen, die vieles bewirken. Wir haben außerdem eine neuronale Grundausstattung, die es uns mehr oder weniger genau ermöglicht, Gefühlszustände eines Gegenübers in uns physisch zu reproduzieren. Stichwort Spiegelneuronen. Aber da ist eben nichts „beweisbar“. Ich kann davon erzählen und falls mein Gegenüber dieser Schilderung zustimmt, dann wissen wir etwas mehr voneinander.

Das wichtige Bibliothekswesens
Wahrnehmungserfahrungen, zu denen auch das Lesen gehört, formen, wie auch Reflexionsprozesse, unsere Ansichten darüber was der Fall sei. Wir wissen heute, das kann von außen manipuliert werden. Es lassen sich den Menschen sogar Erinnerungen an etwas, das nie geschehen ist, implementieren.

Umgekehrt lassen sich schwere Traumata auch an eine nächste Generation weitergeben und können sich da physiologisch manifestieren. Geist und Fleisch schienen eng miteinander verwoben zu sein. Ich stehe im Lager derer, die das Deutungsmodell des Leib-Geist-Dualismus hinter sich gelassen haben. Das löste bei mir Antonio Damasio vor Jahren aus. Ich hatte mir 1994 sein Buch „Descartes’ Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn“ beschafft.

Rund ein Jahrzehnt davor hatten Karl Popper und John C. Eccles mich einmal mehr am Thema Quantenphysik ein wenig abrutschen lassen, als sie zu klären versuchten, wo und wie der Geist an das Fleisch andockt. „Das Ich und sein Gehirn.“ halte ich freilich immer noch für lesenswert. Auch wenn der Geist anscheinend nicht andocken muß, weil er bei uns sozusagen mit dem Fleisch von hausaus verbunden ist.

Ich fand Daniel Denett recht interessant, der darlegte, wie die Neuronen unsere Erlebnisse und Erfahrungen konstruieren. In diesen Zusammenhängen habe das Gehirn für sich eine Benutzer-Illusion geschaffen, die wir „Ich“ nennen. Ich stimme ihm zwar bei dieser kategorialen Trennung von Geist und Fleisch nicht zu, aber mir gefällt sein Erklärungsmodell.

Ein Beispiel: Francisco de Goya schuf radikale Darstellungen von Innen und Außen in der Wechselbeziehung.

Oder ich denke an die äußerst berührenden Fallschilderungen von Oliver Sacks, deren geschilderte Phänomene mehr als verblüffend sind. Es gilt jedenfalls als geklärt: Unsere Gehirne verfügen jeweils über rund 86 Milliarden Neuronen, die in ununterbrochenen Prozessen von Versuch und Irrtum flimmern, so lange wir leben. Ja, nein. Taugt, taugt nichts. (Es soll tatsächlich so binär sein.) Das geschieht in einem Tempo, einer Komplexität und einer Permanenz, die wir nicht wahrnehmen können.

Ich befinde mich heute im Lager von Neurobiologin Leor Zmigrod, deren Überzeugung besagt, daß solcher Körper-Geist-Dualismus eine Fiktion sei. Sie sagt, für sie sei Geist und Gehirn ein und dasselbe, sie kenne keinerlei Beleg dafür, daß menschlicher Geist ohne Gehirn existiere.

Dieser kleine Exkurs soll bloß veranschaulichen, daß ich mich auf Antwortvielfalt angewiesen fühle, weshalb die Nationalbibliothek Kruschestan reich gefüllt sein muß und dabei auch Werke, die einander widersprechen, Beachtung finden. Wer bloß in eine erkennbare Richtung denkt, stünde bei mir umgehend unter Dogmatik-Verdacht. [Fortsetung folgt]

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Über der krusche

jahrgang 56, freischaffend
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